Irene Kastner
Skulpturen in Frankreich im 19. Jahrhundert zeigen ein breites Spektrum an Darstellung, Stilisierung und medialer Performanz von Körperlichkeit. Das Medium bzw. die Gattung Skulptur hat im kunsttheoretischen bzw. -kritischen Diskurs des 19. Jahrhunderts einen problematischen Status inne: Stärker als andere Kunstgattungen bleibt sie an ein klassizistisch fundiertes mediales decorum gebunden. Vor diesem Hintergrund gerät das Medium Skulptur gerade aufgrund seiner genuinen, medialen Körperhaftigkeit in Konflikt zum Körperlichen als Gegenstand, sobald sich dieser aus der formalen und inhaltlichen Fassung ideeller Sublimierung löst. Körperlichkeit zeigt sich gleichzeitig als Kern und Grenzphänomen des Skulpturalen.
Dieser spezifische Status des Körperlichen in der französischen Skulptur des 19. Jahrhunderts wird im hier vorgenommenen Forschungsvorhaben in den Blick genommen unter der Forschungshypothese, inwiefern sich Körperlichkeit als zentrales inhaltliches, formales und strukturelles Agens skulpturaler Praxis in Frankreich im 19. Jahrhundert artikuliert.
Anhand des beschreibenden und analytischen Nachvollzugs der spezifischen Körperdarstellungen skulpturaler Werke wird die Frage verfolgt, wie Körperlichkeit skulptural erzeugt und performiert wird, (1) im Spannungsfeld der klassizistischen Ästhetik und den von ihr abweichenden Strömungen des Naturalistischen bzw. Realistischen, des Expressiv-Übersteigerten sowie der Erweiterung des Sujetkanons um Inhalte und Figurationen, die inhaltlich und formal in Widerspruch zum idealisierten Körperbild treten, (2) in Hinblick auf die im ausgehenden 19. Jahrhundert zunehmende mediale Artikulation und Selbstthematisierung des Skulpturalen, und (3) in der Kontextualisierung durch Einflussfaktoren und -vektoren der Formierung neuerlicher Körperbilder.
Neben der werkanalytischen Auseinandersetzung wird die Analyse der parallel in Frankreich entstehenden kunstkritischen und kunsttheoretischen Diskurse verfolgt. Kunstkritische Positionen der Zeit, wie etwa die Salon-Kritiken, formieren sich sehr nah und konkret an ausgestellten Werken. Insofern gilt es, den engen Zusammenhang zwischen skulpturalem Körper und parallel entstehendem „Diskurskörper“ zu analysieren und die daraus resultierende Produktion und Verhandlung von Körperbildern in Bezug zu setzen zur Kunstproduktion.
Irene Kastner, Guido Reuter (Hrsg.), Andersmachen, Das Werk von Thomas Schütte, Böhlau Verlag, Köln, 2024 (im Erscheinen).
Affordanzen des Sinnlichen: Körperlichkeit, skulpturale Medialität und immersive Rezeptionsrhetoriken in der französischen Skulptur des 19. Jahrhunderts, in: Neuaufteilungen des Sinnlichen: Beiträge zur Medienästhetik zwischen analog und digital, Maren Butte, Martin J. Hoffmann (Hrsg.), Reihe „Körper-Medien-Kulturen.“, Berlin, deGruyter, 2024 (im Erscheinen).