Canan Tercan
Promotionsvorhaben:
In einer Zeit zunehmender politischer Polarisierung, eines Rechtsrucks und der Erosion demokratischer Werte stellt sich immer wieder die Frage nach der Verantwortung von Kunst und Kunstunterricht. Als Kunstlehrkraft ist diese Frage für mich insbesondere im schulischen Kontext von Bedeutung. Inwiefern kann künstlerische Praxis im Bildungskontext als gesellschaftlich relevante Gestaltungsarbeit verstanden werden?
Im Rahmen meines Forschungsprojekts möchte ich die Schnittstellen von Kunst und Politik kritisch untersuchen und der Frage nachgehen, wie ästhetisch-politische Bildung gestaltet werden kann, die sich handelnd, forschend, experimentierend und formgebend mit den Herausforderungen der Gegenwart in verschiedenartigen künstlerischen Praxen auseinandersetzt.
Zur Beantwortung dieser Frage werde ich pädagogische Implikationen künstlerischer Positionen, die politisch agieren, analysieren. Zugleich werden ästhetisch-politische Lehr- und Lernprozesse an der Kunstakademie Düsseldorf erforscht. Einer der thematischen Schwerpunkte liegt dabei auf künstlerischen Lern- und Lehrprozessen, die eine narrative Auseinandersetzung mit den Kontinuitäten gesellschaftlicher Strukturen von der NS-Zeit bis in die Gegenwart beinhalten. Angesichts des absehbaren Endes der Zeitzeugengeneration und der zunehmenden Bemühungen der sogenannten „Neuen Rechten“, sowohl auf nationaler als auch internationaler Ebene, die deutsche Erinnerungskultur im Sinne ihrer Ideologien umzuwandeln, erscheint mir diese Themenschwerpunktsetzung im Kontext einer ästhetisch-politischen Bildung besonders relevant und dringlich.
Eine Auseinandersetzung mit den Wechselwirkungen zwischen Kunst, Politik und Bildung erfordert zugleich eine kontinuierliche Reflexion des Autonomiebegriffs der Kunst, da dieser in diesem Spannungsfeld immer wieder neu ausgehandelt werden muss. Warum eine solche fortwährende Neuverhandlung des Dialogs zwischen Politik, Kunst und Bildung unabdingbar ist, verdeutlichte zuletzt die Diskussion um das kuratorische Konzept der 15. Ausgabe der documenta durch das indonesische Kollektiv ruangrupa und dessen Anspruch einer konsequenten Politisierung von Kunst.
Angesichts tiefgreifender globaler Umwälzungen, mit denen junge Heranwachsende heute konfrontiert sind, erweist sich auch im schulischen und bildungspolitischen Kontext die Frage nach Autonomie und Zweckmäßigkeit der Künste als zentral. Daraus ergibt sich – gemäß meiner leitenden Arbeitshypothese - die Herausforderung, kunstpädagogische Praxis jenseits solcher Dichotomien neu zu denken.